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Folge 22: The Farewell

 

Amerika wird oft als ein melting pot vieler verschiedener Kulturen bezeichnet. Jedoch hat man im Fernsehen oder im Kinosaal sehr lange hauptsächlich Geschichten von weißen Menschen in einer weißen Lebensrealität gesehen. Das hat sich Gott sei Dank in den letzten Jahren zunehmend geändert, denn Hollywood scheint langsam zu begreifen, wie wichtig Repräsentation und Diversität sind. Ein Film, der seinen Zuschauenden einen Einblick in eine (vielleicht) fremde Lebensweise gibt, ist The Farewell.

 

Chinese people have a saying: when people get cancer, they die. But it’s not the cancer that kills them, it’s the fear.
 

Billi Wang lebt in New York und versucht, ihren Durchbruch als Autorin zu schaffen. Plötzlich erfährt sie, dass ihre Großmutter Nai Nai, die in China lebt, an Krebs erkrankt ist und vermutlich nicht mehr lang zu leben hat. Was alles noch schlimmer macht: Nai Nai weiß nichts von ihrer Erkrankung und ihre Familie ist fest entschlossen, ihr nichts von ihrem bevorstehenden Tod zu erzählen. Stattdessen inszenieren sie eine Hochzeit, um Familienmitgliedern die Möglichkeit zu geben nach China zu reisen und sich von ihr zu verabschieden, ohne dass Nai Nai Verdacht schöpft.

 

Es ist wenig überraschend, dass Billi mit dieser Lüge ein großes Problem hat, denn sie hat seit ihrem sechsten Lebensjahr in Amerika gelebt und ist deswegen mit einem sehr westlichen Weltbild aufgewachsen, das auf Individualismus pocht. Für sie hat ihre Großmutter ein Recht auf die Wahrheit und sie betont, dass das Verhalten ihrer Familie in Amerika illegal wäre. Dies ist nur einer von vielen Konfliktpunkten, der aus diesem Aufeinanderprallen der Kulturen entsteht. Was ich sehr angenehm fand, war, dass der Film absichtlich nie direkt Stellung bezieht, welche Herangehensweise die richtige ist. Er verteufelt nicht die Geheimhaltung, die laut einem Artikel der Washington Post in China eine gängige Praxis ist. Eher zeigt er, was diese Entscheidung für die einzelnen Familienmitglieder bedeutet und wie sie damit umgehen. Als westliche Zuschauende sind viele vermutlich zuerst auf Billis Seite: sie fungiert als ein audience surrogate. Gemeinsam mit ihr wird unser westliches Weltbild hinterfragt:

 

„But I knew that I didn’t want to tell a story that was biased and that was just … that exists only to prove my point of view. That’s not interesting, right? I was telling this story as a way to explore the questions that I had […] So I really struggled with making sure that it wasn’t biased because it’s so easy to have these blind spots.” – Lulu Wang (Regisseurin), Podcast Asian Enough

 

The Farewell hat mich mehrfach zum Weinen gebracht – was vermutlich nicht überrascht, wenn man die Thematik bedenkt. Aber dieser Film ging mir tiefer als erwartet unter die Haut, was vermutlich daran liegt, dass das Drehbuch sehr stark (beziehungsweise komplett) auf dem Leben der Regisseurin Lulu Wang basiert. Auch ihre Großmutter wurde belogen und Wang nutzte diesen Film um ihre eigenen, widersprüchlichen Emotionen zu verarbeiten. Vielleicht fühlt sich der Film deswegen so echt und ehrlich an. Zudem sind die Themen Trauer und Tod universal und alle Zuschauenden werden sich in dem Film wiederfinden, egal ob es die Erinnerung an ein verstorbenes Familienmitglied ist oder die harsche Realität, dass man sich eines Tages in einer ähnlichen Situation befinden wird (vermutlich minus die große Lüge im Zentrum der Geschichte). 

 

Ich habe keine Eltern mit Migrationshintergrund oder Migrationserfahrungen wie Billi  und kann deshalb keine wirkliche Einschätzung dazu geben, wie realistisch The Farewell darin ist, zu zeigen, wie es ist, mit zwei Kulturen aufzuwachsen, in die man vielleicht beide nicht hunderprozentig hineinpasst. Jedoch habe ich mir mehrere Video-Essays von asian-american YouTuber*innen angeschaut, die berichtet haben, wie gut dieser Film sie und ihre eigenen Erfahrungen angesprochen und abgebildet hat. Ich habe die Essays unten aufgelistet!

 

Der Film spielt zum Großteil in China und all die chinesischen Familienmitglieder werden von chinesischen Schauspieler*innen gespielt. Als Resultat wird in vielen Szenen nur Mandarin gesprochen, denn das ist die Sprache, die die ganze Familie verbindet. Auch hier zeigt sich erneut die Zerrissenheit von Billi, die mit ihrer Großmutter auf Mandarin, mit ihren Eltern aber auf Englisch spricht. Auch muss sie mehrfach nachfragen, wie manche Worte übersetzt werden, da sie einen Teil ihrer ersten Sprache verlernt hat. Als Zuschauerin fand ich es sehr spannend, denn ich habe mich teilweise wie eine Außenseiterin gefühlt (aber nicht auf die negative Art), da ich auf die Untertitel angewiesen war um die Handlung zu verstehen. Es hat für mich auch erneut zu diesem realistischen Gefühl beigetragen, denn es stört mich immer enorm, wenn z.B. zwei spanische Charaktere in Spanien Englisch miteinander reden, da Filmemacher*innen keine Untertitel verwenden wollen oder fürchten, dass Zuschauer*innen das nicht gefallen könnte.

 

The Farewell ist ein lebensnaher und außergewöhnlicher Film über Tod, Trauer und Familiendynamiken, der einem mehrfach in die emotionale Magengrube schlägt. Er zeigt verschiedene Lebensrealitäten auf, die uns Zuschauende dazu motivieren, unser eigenes, oft als unfehlbar verstandenes Weltbild zu hinterfragen. Es ist ein Film, den ich vielen Menschen empfehlen würde, vor allem in einer Zeit, in der in Amerika die anti-asiatischen Gewalttaten überproportional zunehmen.

 

Hier findet ihr den Trailer!

Schaut auch gerne in unserer Bibliothek vorbei und leiht euch den Film bei uns aus.

 

Wenn ihr euch etwas tiefer mit dem Film beschäftigen wollt, dann kann euch diese Video-Essays empfehlen (Vorsicht Spoilers!)

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